Biolenz – oder Traube von Haut bis Kern

Kategorien: Leaf to Root, UnkategorisiertVon 09/04/2019Views: 4226

Traubentrester wird üblicherweise als Kompost in die Weinberge ausgebracht – oder destilliert und zu Grappa gebrannt. Bei Biolenz in der Schweiz nutzt man die Traubenhäute für Tee, aus den Kernen presst man Öl und aus dem Presskuchen mahlt man einTraubenkern Mehl.

Was geschieht eigentlich mit dem Rest der Trauben, wenn sie gepresst sind? Dass aus dem Trester Grappa gebrannt wird, wusste ich natürlich. Doch kann man Schale und Kerne auch noch anders verwenden?

Traubenhauttee, dahinter Traubenkernmehl und Chicorée-Sirup. Fotografie: Patrick Schürmann

Das fragten sich auch Marlen Karlen und Guido Lenz. Die beiden bewirtschaften seit Jahrzehnten in Uesslingen im Kanton Thurgau und bei Andelfingen im Kanton Zürich insgesamt 2.3 ha Hektaren Rebland, keltern unter dem Namen Biolenz Weisswein, Rotwein, Schaumwein. Seit mehr als 10 Jahren schon sortieren sie nach dem Pressen den Trester und sieben die Kerne aus, trocknen sie und lassen die Trauben Kerne zu einem edlen Traubenkernöl pressen. «Wir haben einen Freund im Ruhestand mit einer kleinen Mühle, die kalt presst – das dauert Wochen», sagt Marlen Karlen.

Chai mit Traubenkernmehl

Der Presskuchen wird dann gemahlen. Traubenkernmehl gilt als sehr gesund, da es offenbar viele Antioxidantien enthält. Marlen Karlen weiss denn auch, dass sie schon Kunden hatte, die bei ihr grosse Mengen kauften und diese dann in Kapseln verpackten. Sie selber verkauft das Mehl in 500 Gramm-Verpackungen und nutzt es beispielsweise für einen Chai. «Anrösten, dann aufkochen mit Gewürzen, etwas einziehen lassen», erklärt sie mir. Das Resultat ist ein wunderbar herber Chai.

Bei meinem Besuch neulich gab sie mir dann noch ein Rezept mit für Sablés mit Traubenkernmehl. Ich habe mich darüber gefreut, ein nur leicht süsses Gebäck zu erhalten, das sehr gut zu Wein passt.

Seit Kurzem verarbeiten Marlen und Guido auch die Traubenschalen gesondert weiter. «Patrick Honauer vom ‚BachserMärt‚erzählte mir eines Tages, dass sie ihm in einem Gourmet-Restaurant Traubenhauttee servierten hätten als alkoholfreie Begleitung», so die Winzerin. Daraufhin versuchte sie es selber.

Der Traubenhauttee ist leicht fruchtig, aber auch herb-gerbstoffig, eine sehr schöne Alternative zu einem klassischen Früchtetee. Man kann aber auch kochen mit den Häuten. Das zeigte neulich Maurice Maggi, Guerilla-Gärtner und Koch, an einer Kochshow zum Thema «Leaf to Root», die ich an der Messe «Criterion» veranstaltete . Maurice verarbeitete die Traubenhäute in einem Gericht: Häute und Knoblauch in Öl eingelegt, dann angedünstet, danach kamen Kohltriebe (vom Cima di Rappi, es ginge aber auch klassischer Cima di Rape) dazu. Das Resultat hat mich sehr erstaunt – die Häute gaben eine schöne Bissigkeit und Fruchtigkeit in den Kohl.

Der Rebberg als Erlebnisraum

Nicht nur bei den Lebensmitteln denken Marlen und Guido über den Tellerrand hinaus. Karlen hat einen engen Draht zur Kunstwelt und ist beispielsweise Mitinitiantin eines Kunstvermittlungs-Studiengangs. Ihr Rebberg dient denn auch nicht nur der Traubengewinnung. Er ist viel mehr als das. Zwischen den Reben wachsen Kräuter und Blumen, die Karlen trocknet und als Tee nutzt.

Marlen Karlen im biodiversen Paradies.

Zudem, und das ist sehr wichtig, dient der Biolenz-Rebberg auch als Lebensraum und Erlebnisraum. «Wir finden es schade, wenn Landwirtschaftsland nur für die Produktion genutzt wird», so Karlen. Und so veranstaltet sie mit Guido Lenz auch Seminare, an denen beispielsweise die Teilnehmer Steine gestalten oder Rebstöcke bemalen – und so Spuren hinterlassen und den Ort beleben.

Chicoreewurzel-Sirup als Lehrlingsprojekt

Marlen Karlen beschreibt bei meinem Besuch, dass mit ein Faszination bei einigen Lebensmittel-Projekten auch die Ästhetik ist. So etwa beim Biolenz-Projekt «Chicoréewurzel-Sirup»: «Wir schnitten die Wurzeln in Scheiben und trockneten sie auf farbigen Tüchern, ein wunderschönes Bild.» Lieferantin des Rohstoffs, also der Chicoreewurzeln, ist die Schwester von Guido, die Bio-Gemüse anbaut. «Wir haben gesehen, dass die Wurzeln nur als Viehfutter genutzt werden», so Guido Lenz. «Zusammen mit einem Lehrling, der auch gelernter Koch ist, haben wir dann den Sirup als Projekt umgesetzt.» In Kupferkesseln über Feuer wurde der Sirup gekocht und dann in Flaschen abgefüllt. Die Wurzeln geben die bittere Note, gebrannter Zucker die Süsse und Ingwer eine leichte Schärfe – also quasi ein Erwachsenensirup. Es gibt nur eine beschränkte Anzahl Flaschen. Denn bei Biolenz bleibt Einiges auch einmalig.

Ich zweifle nach meinem Besuch nicht daran, dass ich noch mehr schöne Sachen aus dem Reich der Pflanzen entdecke dank Marlen Karlen und Guido Lenz.

Marlen Karlen ist am 13. April 2019 zu Gast an meinem «Leaf to Root»-Tag an der OFFA in St. Gallen.

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